5. SONNTAG der Osterzeit

Lesung aus dem Evangelium nach Johannes (13, 31-35)

 

Jesus hält eine Abschiedsrede, gibt sozusagen sein Testament bekannt, in dem er zusammenfasst, was ihm wirklich am Herzen liegt und worauf es ankommt. Er hat viel mit seinen Freunden geredet, ihnen viele wichtige Dinge gesagt. Das Allerwichtigste aber ist: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe... Daran sollen andere erkennen können, dass ihr wirklich meine Anhänger seid...“

Diese Liebe hat nichts mit Gefühlsseligkeit zu tun, die jedem um den Hals fallen will - das hat Jesus auch nicht getan - , sondern es geht hier um Liebe, wie sie die Bibel versteht und Jesus sie vorgelebt hat: „Wie ich euch geliebt habe“: Jesus als Maßstab, Richtschnur für unser Einander-Lieben. Symbolisch hat er das dargestellt, indem er seinen Freunden die Füße gewaschen hat, d.h. indem er ihnen einen elementaren, niedrigen Dienst erwiesen hat.

Jesus meint hier wirklich die Christen untereinander, die christliche Gemeinschaft. Hier muss dieses Lieben an erster Stelle gelebt werden. Und das geschieht dann, wenn wir einander wertschätzen, anerkennen, Interesse füreinander zeigen. (Das ist etwas anders als neugierig sein.) Aber das heißt auch, dass es eigentlich in einer christlichen Gemeinschaft unvorstellbar sein soll, dass wir jahrelang, jeden Sonntag, in der Kirche nebeneinander sitzen und trotzdem einander nicht kennen, nicht einmal beim Namen.

Einander lieben beginnt schon damit, dass man einander grüßt, zuhört, sich füreinander Zeit nimmt in einer Atmosphäre der Herzlichkeit und indem man einander vielleicht einmal einlädt oder besucht.

Einander lieben heißt, an erster Stelle das Gute im anderen loben, ihn ermutigen, statt immer wieder das Negative von ihm weiterzuerzählen. Es heißt ihm helfen, wenn er sich in irgendeiner Not befindet, ihm in Freundschaft begegnen, ihn in seinem Anders-Sein akzeptieren. Da darf es ruhig auch bei Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen geben, aber die freundschaftliche Beziehung bleibt erhalten. Man sagt sich gegenseitig ehrlich die Meinung, aber ohne den anderen zu verletzen oder zu verurteilen. Richtet nicht! Dies heißt jedoch nicht, das Negative an einander gutheißen. Das hat Jesus auch nicht getan. Man soll es nicht gutheißen, sondern es beim Namen nennen, ohne den ganzen Menschen zu verurteilen und zu demütigen.

Einander lieben heißt fähig sein, die Schwächen und das Versagen voneinander auszuhalten. Und gerade in Situationen, wo wir aneinander schuldig werden, verzeihen und sich versöhnen können, ohne nachtragend zu sein, und die Fehler des anderen immer wieder neu zur Sprache zu bringen.

Einander lieben hat mit vorbehaltlosem Wohlwollen, mit Güte ohne Bedingungen zu tun. Behandelt einander so, wie ihr selbst voneinander behandelt werden wollt. Oder, wie es der heilige Augustinus gesagt hat: „Liebe, und tue dann, was du willst.“ D.h.: Alles, was du tust, soll in Liebe, mit Liebe geschehen. So entsteht ein Klima, eine Atmosphäre der Verbundenheit miteinander, die man spürt und deswegen sagen kann: „Seht, wie sie einander lieben“

„Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Für das kleine vergleichende Wort „wie“ kann man auch das begründende Wort „weil“ einsetzen. Liebt einander, weil Gott euch zuerst geliebt hat. Jesus gibt uns nicht nur ein Beispiel, sondern er ist auch der Grund, warum wir das Gebot verwirklichen können. Wo uns das gelingt, wirkt Gottes Liebe in uns. Denn Gott ist Liebe.

Trauen wir uns heute, das gemeinsam anzustreben? Trauen wir uns, an so eine Gemeinschaft zu glauben und uns dafür einzusetzen? Ich erinnere da an unseren Gemeindesonntag, wo wir uns gefragt haben: „Wann sind wir eine lebendige Gemeinde?“ Hier liegt die Antwort: Wenn andere über uns sagen: „Seht, wie sie einander lieben.“

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